Wie alles begann: Eine geschichtliche Zeitreise zu den Anfängen des Kollegs (1902 - 1920)
Warum ausgerechnet in Vechta? So fragen manche, die den Dominikanerorden etwas besser kennen und wissen, dass er traditionell in den großen Universitätsstädten seine Niederlassungen gründet. Hamburg, Berlin, München, Vechta…. das sind Orte, in denen sich heute Dominikanerkonvente in Deutschland finden. Und man könnte weiter aufzählen: London, Paris, Rom, Washington, New York – und eben Vechta. Klingt zumindest ungewöhnlich, oder?
In diesem und in den nächsten Jahrbüchern möchten wir eine kleine historische Reihe veröffentlichen, die die Gründungsgeschichte des Kollegs und die weitere Entwicklung durch die vergangenen gut einhundertzwanzig Jahre erzählt. Ein Gang durch die Geschichte unserer Schule, der neben vielen anderen Informationen auch das Rätsel löst, warum die Dominikaner nun ausgerechnet in Vechta ein Gymnasium leiten.
Um darauf eine Antwort zu geben, muss man weit zurück gehen, nämlich an den Anfang des 19. Jahrhunderts. Die Säkularisation brachte in den Jahren um 1800 das (vorläufige) Ende des Dominikanerordens in Deutschland, mit dem Konvent in Warburg wurde 1825 die letzte Klostergemeinschaft aufgehoben. Doch bereits dreißig Jahre später gab es erste Versuche, den Orden wieder aufzubauen. Von Frankreich aus bemühte man sich um die Gründung neuer Konvente: in Materborn (1856), Düsseldorf (1860) und Berlin (1867). Doch erwies sich dieses Vorhaben als sehr schwierig, fehlte es doch sowohl an Geld wie auch an Ordensinteressenten. Der Kulturkampf in Preußen erschwerte die Situation zusätzlich, so dass das Vorhaben der Wiedergründung kaum Erfolgsaussichten zu haben schien. Es wurde für die Ordensprovinz zu einer Überlebensfrage, außerhalb des Reiches, wo die staatliche Gesetzgebung ordensfreundlicher war als in Preußen, eine Niederlassung zu gründen und hier neue Ordensmitglieder für die deutsche Provinz zu gewinnen.
Es begann in Venlo….
Zwei Dominikaner, die Brüder P. Pius und P. Augustinus Keller, fassten den Entschluss, im holländischen Venlo ein Kolleg für deutsche Schüler einzurichten. Hier sollten die Jungen ihre Schulausbildung erhalten und sich zugleich darauf vorbereiten, Priester und Ordensmann zu werden. Das war das Besondere eines Konviktes: dass dort Schüler eintraten, die zumindest mit dem Gedanken spielten, später einmal Priester zu werden. In Venlo erwarb man ein altes, leerstehendes und ziemlich runtergekommenes Gebäude, das für das Schul- und Klosterleben hergerichtet wurde. Hier begann man im September 1879 unter recht primitiven Umständen mit zwanzig Schülern, sieben Patres und zwei Brüdern den Unterricht und das Zusammenleben.
P. Pius leitete das Haus, das den Namen ‚Collegium Albertinum‘ erhielt und zunächst stetig wuchs. Er ließ bewusst den Unterricht nach den Bestimmungen durchführen, die für die deutschen Gymnasien galten, denn schließlich sollten die Schüler später in Deutschland für die dortige Dominikanerprovinz studieren und tätig sein.
Doch es gab ein Problem: Die Schulausbildung endete am staatlich nicht anerkannten Albertinum mit der Obersekunda (heute vergleichbar der Klasse 11), die Schüler konnten dort also keinen gymnasialen Abschluss erwerben, sondern sollten diesen in Deutschland machen. Dafür planten man nun ein zweites Konvikt, als Standort dieser weiterführenden Einrichtung fassten die Dominikaner zunächst die Stadt Warburg ins Auge. Doch die preußische Regierung – und diese war für Warburg zuständig - erließ eine Reihe von Verordnungen, die den Übergang von einer Schule im Ausland zu einem preußischen Gymnasium erheblich erschwerten. So erteilten die zuständigen Behörden nicht die notwendige Erlaubnis, in Warburg ein weiterführendes Konvikt zu gründen – womit die Dominikaner eine andere Lösung finden mussten.
…. und führte nach Vechta
Man wandte sich der Kleinstadt Vechta zu. Dieses war durchaus überraschend, denn während Warburg eine lange dominikanische Tradition hatte (der Orden war in der alten Hansestadt schon von 1281 bis 1825 präsent gewesen), war Vechta dominikanisches Neuland. Doch die oldenburgische Regierung stand den Ordensleuten recht tolerant gegenüber und legte auch den Schülern, die von einer Schule im Ausland auf ein staatliches Gymnasium gehen wollten, keine Hindernisse in den Weg.
So reiste der damalige Subpräfekt des Albertinums, P. Petrus Louven, von Venlo nach Südoldenburg, um die entsprechenden Vereinbarungen zu treffen. Man erwarb ein altes Hotel (das Vechtaer „Zentralhotel“. Es stand an der Stelle, wo sich heute in Vechta das in den 1970er Jahren erbaute Hotel „Kaponier“ befindet), das als „St. Josef-Konvikt“ die vierzehn Schüler und die vier Dominikaner beherbergte. Die Jungen wohnten dort und besuchten das staatliche Gymnasium Antonianum, so dass man im heutigen Vokabular sagen kann: die ersten Thomaner waren in gewissem Sinne GAVer.
Die Frage, warum die Dominikaner eigentlich in Vechta sind und hier eine Schule tragen, ist also so zu beantworten: Weil man den Schülern aus dem niederländischen Venlo einen guten Übergang an ein deutsches Gymnasium (mit einem entsprechenden Abschluss) ermöglichen und so den weiteren Aufbau der Dominikanerprovinz Teutonia voranbringen wollte. Aus diesem im April 1902 eröffneten Konvikt, das zunächst nur ein Wohnheim war, entwickelte sich das ordenseigene Gymnasium der Dominikaner, das Kolleg St. Thomas.
Bereits 1907 entstand der Plan, eine eigene Ordens- und Missionsschule zu gründen. Die Dominikaner begannen mit ihrem Bau auf den Grundstücken am Rande des Füchteler Waldes, die sie bereits für landwirtschaftliche Zwecke nutzten. Ostern 1908 startete mit wenigen Schülern der Unterricht, die Leitung hatte P. Pius Keller. Weil die Schulgemeinschaft jedoch wuchs, wurden weitere Bauten notwendig, in denen ein Speiseraum, Studierzimmer, Schlafräume und eine Kapelle untergebracht wurden. Heute befinden sich in diesen damals errichteten Räumen der Kloster-Trakt: Sakristei, Büchermagazin, die Klassen 9a und 9b und die Räume des Hausmeisters.
Am 4. August 1911 wurde die Niederlassung in Vechta vom Ordensmeister in Rom anerkannt, so dass man noch weitere Pläne entwickeln konnte.
Erziehung der ‚Zöglinge‘
Die Jungen, die man aufnahm, waren 13 und 14 Jahre alt. P. Pius war davon überzeugt, dass die Schüler in diesem Alter bereits fähig seien, einer Berufung in den Stand des Ordenspriesters nachzugehen. Die Eltern hatten dem natürlich zuzustimmen und die schulische Eignung musste nachgewiesen werden. Die geistliche Berufung der Jungen sollte in der Ordensschule, die unter dem Patronat des hl. Josef stand, gestärkt und weiterentwickelt werden, wofür die Schüler selber mitverantwortlich waren: „Jeder Zögling (!) habe stets den erhabenen Beruf vor Augen, zu dem er sich durch die Gnade Gottes berufen glaubt“ – so hieß es in der damaligen Schulsatzung.
Die Erziehung durch P. Pius ist auf diesem Hintergrund zu sehen: Genauigkeit, Strenge, Kontrolle – all das sollte den Zögling davor bewahren, seine Berufung leichtfertig aufs Spiel zu setzen und auf ‚Abwege‘ zu geraten. Man führte ein fast klösterliches Leben mit regelmäßigen Gottesdiensten und vielen Gebetszeiten, um die Formung hin zu einem geistlichen Leben möglichst ungebrochen voran zu bringen. Das Leben der Schüler spielte sich dabei so gut wie ausschließlich in der Schule ab, nur drei Wochen der großen Ferien durften sie zuhause verbringen. P. Pius lebte in der ständigen Angst, dass ‚die böse Welt‘ die frommen Jugendlichen verderben könnte – und deshalb sorgte er streng dafür, dass sie mit dieser ‚Welt‘ kaum in Berührung kamen.
Man muss sagen: Nicht nur uns kommt dieser Gedanke heute recht fremd vor. Bereits der Nachfolger von P. Pius, P. Laurentius Siemer, schüttelte damals den Kopf und räumte mit dieser engen Pädagogik gründlich auf. Davon wird im nächsten Band von ‚schwarz auf weiß‘ zu berichten sein.
Obwohl P. Pius als herb und streng beschrieben wird, war er bei den Schülern geschätzt und sie fassten Vertrauen zu ihm. Man hatte dabei wohl eher Achtung vor ihm als echte Zuneigung. Stockhiebe waren zu dieser Zeit noch eine allgemein übliche und erlaubte Strafe. Es spricht wohl für P. Pius, dass er von dieser Strafe wenig hielt. In seinen Erinnerungen schreibt er: „Zur Prügelstrafe habe ich bei den jüngeren Schülern eigentlich sehr selten gegriffen, und dann auch erst nach Verlauf einiger Stunden. Bei etwas älteren Jungen sollte diese Strafe nie angewendet werden und auch bei den jüngeren nur selten und nach ruhiger Überlegung. Diese Grundsätze habe ich stets den Lehrern ans Herz gelegt. Es gibt ja leider Lehrer, deren ganze Pädagogik im Gebrauch des Stockes zu bestehen scheint.“ Bis 1921 war P. Pius Keller der Leiter der Schule, er legte die Grundlagen und schaffte es auch, den Fortbestand zu sichern und die Gebäude weiter auszubauen.
Umstrittene Zukunftsperspektiven
Dass dieses gelingen sollte, war damals nicht selbstverständlich. Selbst vielen Dominikanern war das „Unternehmen Ordensschule“ eine Nummer zu groß. Man fragte nach der Ausbildung der Lehrkräfte und natürlich nach den Kosten. Die staatlichen Behörden erwarteten ebenfalls entsprechende Qualifikationen und verbindliche Zusagen von Seiten der Ordensleitung. Dazu kamen noch die schweren Belastungen durch die Wirren des Ersten Weltkrieges. P. Laurentius schreibt in seinen Erinnerungen: „Soll eine Privatschule auf die Dauer bestehen, so muss sie in jeder Beziehung mit den öffentlichen Schulen konkurrieren können. Leider ist eine der wichtigsten Vorbedingungen für diese Konkurrenzfähigkeit eine gesunde finanzielle Grundlage. Diese Grundlage zu schaffen war damals ganz unmöglich.“ Auch bei der Auswahl der Schüler sei man nicht immer streng genug gewesen: sie kamen meist aus den Großstädten und „brachten die Frühreife großstädtischer Jugend in die Schule hinein“, wie P. Laurentius schrieb.
P. Pius mühte sich (natürlich zusammen mit anderen) enorm und schaffte es tatsächlich, dass sich allen Widernissen zum Trotz das St. Josef-Konvikt weiterentwickeln konnte. Es wurde ein großer Neubau geplant, der mit seinem charakteristischen Türmchen bis heute das äußere Bild des Kollegs prägt. Zunächst konnte nur der Südflügel errichtet werden (der Bereich, in dem heute die Bibliothek, die Physik und die geschätzten Klausur-Räume untergebracht sind). Der Erste Weltkrieg machte einen Weiterbau vorerst unmöglich: zu drückend waren die finanziellen Belastungen, zu sehr war man mit der Unterbringung eines Lazaretts in den Räumen des Konviktes beschäftigt, zu groß waren auch die Sorgen um die älteren Schüler, die zum Kriegsdienst eingezogen waren und mit denen P. Pius intensiven Briefkontakt zu pflegen versuchte. Es waren eben seine ‚Zöglinge‘, für die er sich auch in Kriegszeiten verantwortlich fühlte.
Die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg
Erst 1919 wurde das Lazarett aufgehoben. Bereits in diesem Jahr betrug die Schülerzahl 115, so dass man nun von einer Stabilisierung der Schule sprechen konnte. Die Wirren des Anfangs und die schweren Belastungen durch den Krieg waren überwunden, nun (erst) konnte auch die Dominikanergemeinschaft in Vechta offiziell zum Konvent erhoben werden: am 23. November 1919 geschah dies durch den damaligen Provinzial P. Hieronymus Wilms. Erster Prior wurde P. Jakobus Höckesfeld, Leiter der Schule blieb weiterhin P. Pius Keller. Man war fest entschlossen, trotz finanzieller Herausforderungen den Schulbau weiterzuführen – dies sollte dann in den zwanziger Jahren gelingen, dank der Energie und der Tatkraft von P. Laurentius Siemer, der 1921 die Leitung der Schule übernahm. Davon werden wir aber in der nächsten Ausgabe berichten.
Vorerst bleibt festzuhalten: Die Schule in Vechta entstand aus dem Wunsch heraus, für den Dominikanerorden guten Nachwuchs zu bilden, um den Wiederaufbau der Ordensprovinz voranzubringen. Rückblickend kann man den Mut und den langen Atem der Brüder nur bewundern, ein solches Unternehmen wie den Aufbau einer eigenen Schule anzugehen und trotz Widerständen durchzutragen. Dass das Konvikt die schwierigen Anfangsjahre überstand, ist der Willenskraft, der persönlichen Bescheidenheit der Brüder, vielen freundlichen Spendern und nicht zuletzt dem Segen Gottes zu verdanken – all das Momente, die bis heute Anerkennung und Dankbarkeit verdienen und die auch die Verpflichtung mitbringen, sich um einen guten Fortbestand der Schule zu mühen.
Von der Republik zur Diktatur: Das Kolleg in herausfordernden Zeiten (1920 - 1940)
Gründungszeit und Anerkennung als Gymnasium hatte das St. Josef-Konvikt (unser heutiges Kolleg St. Thomas) mit Mühen, aber schlussendlich erfolgreich hinter sich bringen können. Auch im ruhigen, beschaulichen Vechta war man von den Wirren des Ersten Weltkrieges nicht verschont geblieben: Schüler und Lehrer trauerten um gefallene Angehörige, die finanzielle Not zwang zu manchen Einsparungen und auch die politischen Umbrüche von der Monarchie hin zur Republik wurden eher mit Skepsis als mit Begeisterung wahrgenommen. Und zugleich waren die zwanziger Jahre für das Konvikt eine Zeit der Stabilisierung und des Aufbruchs. Besonders eine Persönlichkeit steht für diese Jahre: P. Laurentius Siemer. er soll uns, liebe Leserin, lieber Leser, bei unserem geschichtlichen Rückblick durch die zwanziger und dreißiger Jahre begleiten.
Mutige Schritte in schwieriger Zeit
P. Laurentius, der am 8. März 1888 in Elisabethfehn geboren wurde, machte sein Abitur am Gymnasium in Vechta (am heutigen GAV) und trat 1908 in den Dominikanerorden ein. Genau wie P. Titus Horten übrigens. Seit ihrem gemeinsamen Noviziatsjahr in Venlo waren diese beiden Dominikaner miteinander verbunden: Noviziat und Ausbildung, gemeinsame Verantwortung für das Konvikt in Vechta, schließlich die Anklage und Verhaftung durch die Nationalsozialisten und gemeinsame Haft in Oldenburg. Aber davon später.
Zurück zu P. Laurentius. Er übernahm – nach dem Staatsexamen für Germanistik und Geschichte – von P. Pius Keller 1921 die Leitung des St. Josef Konviktes. Zehn Jahre sollte er diese Verantwortung tragen, zehn Jahre, in denen Schule bzw. Internat von den schwierigen Anfängen zu einer wichtigen, sogar in manchen Bereichen innovativen Institution ausgebaut werden konnte.
Ausgebaut - zunächst räumlich. Der Bau war am Ende des Weltkrieges erst zu einem Drittel fertiggestellt. Die Pläne existierten zwar, doch die Finanzmittel reichten nicht, zumal auch die Ordensprovinz trotz vorheriger Zusagen keine Gelder zuschießen konnte.
Hier leistete P. Titus Horten Großes. Er war 1882 geboren worden und in großbürgerlichen Verhältnissen aufgewachsen. Wie sein Bruder Paul (P. Timotheus) trat auch Franz Horten (P. Titus) in den Dominikanerorden ein, wie seinem Bruder lag auch ihm das Konvikt in Vechta von Anfang an am Herzen. In den finanziell schwierigen 20er Jahren kam der Schule nun der Geschäftssinn zugute, den P. Titus wohl von seiner Mutter mitbekommen hatte. Er sagte sich: Wenn die Leistungen der Ordensprovinz ausfallen, dann müssen wir eben selber ran! Und er entwickelte einen waren ‚Bettelbetrieb‘, in dem er deutschstämmige Amerikaner anschrieb und um Geld bat. Die Schüler wurden mit eingespannt, die Briefe zu vervielfältigen und stellvertretend zu unterschrieben. „Einige Schüler brachten es geradezu zu einer erstaunlichen Fertigkeit, meinen Namenszug nachzumachen. Manchmal wusste ich selbst nicht, ob die Briefe von mir oder anderen unterschrieben waren“- so erinnerte sich P. Laurentius. Eine fast sympathische Form der Kleinkriminalität, in der Schüler und Patres gemeinsame Sache machten und so trotz Inflation und Geldknappheit die Schule ohne Schulden fertigstellten.
Nun konnten endlich alle Schüler, Lehrer und Patres von der Vechtaer Innenstadt nach Füchtel umziehen. Der alte Konviktbau neben dem Kaponier stand jetzt den Ilanzer Dominikanerinnen zu Verfügung, die die Patres in den verschiedenen Bereichen unterstützten: im Haushalt des Internates (Wäsche, Küche, Krankenversorgung), bei der Arbeit des Albertus-Magnus-Verlages, der mit Büros und Druckerei im alten Haus untergebracht werden konnte, und in der Missionsprokur, die für die dominikanischen Missionare in China Gelder sammelte, um die Arbeit in Fernost zu unterstützen. Vechta entwickelte sich so zu einem wichtigen Ort dominikanischer Arbeit in Deutschland: Im Konvikt wurden junge Menschen auf das Ordensleben vorbereitet, im Verlag veröffentlichte man Werke v.a. der ordenseigenen Geistesgeschichte, die Missionsprokur schließlich öffnete den Blick auf den weltweiten Predigtauftrag der Brüder.
Die beiden letzten Institutionen standen seit 1925 unter der Verantwortung von P. Titus, der hier seinen Sinn für das Geschäftliche genauso einbringen konnte wie sein Gespür für Literatur und Sprache (vor seinem Ordenseintritt hatte P. Titus über die Sprache Daniel Defoes promoviert). Bis zu seinem Tod 1936 sollte P. Titus Verlag und Prokur leiten, letztere bot den Nationalsozialisten in den Devisenprozessen die Angriffsfläche für ihre Anklage.
Ein Direktor ganz eigener Art: P. Laurentius Siemer
Mit der Übernahme des Direktorenamtes durch P. Laurentius zog im Konvikt ein neuer Stil ein: Die schulisch-wissenschaftliche Ausbildung blieb dabei gleich, es wurde jedoch mehr Wert auf eine gute Fachausbildung der Lehrkräfte gelegt. Was sich änderte waren die Erziehungsansätze. Hier stand weniger das Beschützen und Behüten im Vordergrund, das für P. Pius so wichtig war, sondern eher das Sich-Bewähren! Die Schule konnte es sich leisten, Schüler auszusuchen: Das erste Jahr galt als Probejahr, in dem sich der Schüler eben bewähren musste. Wert wurde dabei neben den schulischen Leistungen und der Frömmigkeit auch auf ein gepflegtes Äußeres gelegt, weshalb P. Laurentius Schülermützen einführte. Ebenfalls wichtig waren ihm die Fächer Musik und Sport! Einen Chor und ein Streichorchester gab es schon, nun gründete P. Laurentius das eigene Blasorchester, mit dem die Schülerschaft nicht nur marschierend durch die Vechtaer City zog, sondern auch bei Konzerten an anderen Orten auftrat – sehr zum Missfallen von P. Provinzial Thomas Stuhlweißenburg übrigens, der „keine wandernde Musikbande“ wollte. Schließlich war man ein frommes Konvikt! Aber P. Laurentius war ein sehr eigensinniger Mensch, der sich so leicht nichts sagen ließ. Und so ärgerte sich zwar der Provinzial im fernen Düsseldorf, aber die Schüler machten weiter Musik in Vechta.
Auch der Sport war für P. Laurentius wichtiger Teil der Erziehung, allerdings eher Handball und Schlagball – nicht Fußball. Dieser vermag „nicht veredelnd auf junge Männer einzuwirken“, so befand der Direktor. Nun ja, das würden die Spieler unserer Tage sicher anders sehen.
Das Theaterspielen wurde großgeschrieben, vornehmlich geistliche Stücke, in denen es um die Bewährung des glaubenden Menschen gegenüber der das Seelenheil bedrohenden Umwelt ging. Aufwendige Kulissen bauten die Schüler selber, wobei sie gute Unterstützung durch P. Thaddäus Roth fanden, dem Kunsterzieher der damaligen Zeit. Er war offenbar ein phantasievoller und beliebter Pädagoge, der den Schülern auch manchen Freiraum im sonst streng reglementierten Internatsalltag ermöglichte.
Füchteler Selbstbewusstsein
Die zwanziger Jahre waren überall die Zeit der Jugendbewegung. Verschiedene weltanschauliche Organisationen waren im Jugendbereich aktiv (man denke etwa an die katholische Quickborn-Bewegung oder die „Wandervögel“) und setzten hier wichtige, auch reformpädagogische Impulse. Durch solche Vereine inspiriert suchte auch P. Laurentius eine dem Konvikt angemessene Form, dieses begeisterte Interesse Jugendlicher aufzugreifen. Er fand sie in der katholischen Pfadfinderschaft, die sich den heiligen Ritter Georg zum Patron gegeben hatte, den Drachentöter, womit wieder das Motiv der Bewährung aufgegriffen wurde. Das Pfadfinderleben prägte zunehmend die Struktur des Internates, wobei älteren Schülern ein vergleichsweise hohes Maß der Mitverantwortung für die jüngeren gegeben wurde. Selbstverständlich behielt P. Laurentius die Gesamtleitung in der Hand, aber es entwickelte sich doch ein Miteinander, in dem gegenseitige Verlässlichkeit, Abenteuerlust und Naturverbundenheit, Disziplin und Eigenverantwortung eine wichtige Rolle spielten. Die gemeinsame Kluft, Übungen, die fast militärisch anmuten, das Marschieren – alles Dinge, von denen die Jungen begeistert waren, und die das Konvikt zu einer verschworenen, aber auch in sich recht geschlossenen Gemeinschaft werden ließen. Die vielen kirchlichen Feiertage, eigene Karnevalsfeiern und v.a. eine ganz eigene Ferienordnung unterstützten diese Geschlossenheit zusätzlich.
P. Laurentius war bei alledem mitten drin bzw. zog vorne weg, nicht kumpelhaft-anbiedernd, aber eben auch nicht fromm-distanziert. Er gefiel sich durchaus in der Rolle des forschen Anführers, den ‚seine Jungen‘ schätzten. Hier unterschied er sich doch sehr von P. Titus, dem alles Laute und Wilde fremd war. P. Titus war eher der fromme Schöngeist, durchaus energisch in geschäftlichen Dingen, aber keiner, der sich forsch den Ton angeben wollte. Er war zwar der Prior des Konventes in diesen Jahren und ein auch bei den Schülern hochgeschätzter Seelsorger, aber das alles war er eben auf eine sehr ruhige, eher dienende Art. Dass es deshalb zwischen dem Prior des Konventes (P. Titus) und dem Rektor des Konviktes (P. Laurentius) manchmal knallte, war allgemein bekannt und ließ im Fall des Falles alle anderen in der Umgebung in Deckung gehen.
Die braune Diktatur hat auch auf Füchtel Auswirkungen
Natürlich ging auch an Vechta die politische Stimmung in Deutschland nicht vorbei. Die Unzufriedenheit mit dem sogen. „Schanddiktat von Versailles“, das nationale Minderwertigkeitsgefühl, die Skepsis gegenüber einer republikanischen Demokratie, die Angst vor der „bolschewistischen Gefahr“ – all das prägte die Gemütslage, auch wenn man anhand der Chroniken unserer Schule doch sagen muss, dass das Konvikt ein außergewöhnlich unpolitischer Ort war. Man findet kaum direkte Äußerungen oder Parteinahme, ganz zu schweigen natürlich Berichte über politische Aktionen.
Im allgemeinen gesellschaftlichen Klima kamen die Nationalsozialisten zu immer mehr Einfluss, auch wenn gerade die katholischen Bevölkerungsteile dieser neuen Bewegung sehr kritisch gegenüberstanden. Insbesondere die Rassenideologie und die kirchenfeindlichen Töne sorgten für deutliche Abgrenzung von Seiten der Kirche.
1933 änderte sich dieses vorübergehend: Adolf Hitler war zum Reichskanzler gewählt worden – nun galt es, sich mit der neuen Regierung zu arrangieren.
Auch das Konvikt musste sich gegenüber der neuen Reichsregierung verhalten. P. Laurentius war inzwischen in einer neuen Position: Er war 1932 zum Provinzial der Teutonia gewählt worden, neue Schulleiter wurden P. Reginald Weingärtner (1932-33) und P. Placidus Wehbrink (1933-1940). Für sie alle stellte sich die schwierige Frage: Wie sollte man umgehen mit den neuen Machthabern? Einerseits war man als Schule abhängig von den Behörden, andererseits legte man Wert auf einen eigenen Gestaltungsspielraum. Einerseits riss die neue Bewegung in ihrer nationalen Begeisterung viele Schüler mit (auch manchen Pater und Lehrer), andererseits war man dem Neuheidentum der Nazis gegenüber sehr skeptisch und sah den deutlichen Gegensatz zur kirchlich-katholischen Lehre. Wie sollte man in dieser Spannung klug agieren?
Man entschied sich zu einem Schritt, der auf den ersten Blick sehr seltsam anmutet, aber durchaus von taktischer Raffinesse war: Im November 1933 trat die gesamte Schülerschaft der Kolonial-Hitlerjugend bei. So konnte man auf der einen Seite manche Erwartungen bedienen, stellte aber zugleich sicher, dass man als Konviktgemeinschaft unter sich blieb und somit das Programm der Veranstaltungen weitgehend selber bestimmen konnte. Auf diese Weise versuchten die Verantwortlichen, einen Freiraum zu sichern und sich der Vereinnahmung durch die Nazis gerade im Bereich der Jugendbewegungen möglichst zu entziehen.
Devisenprozess gegen P. Titus und P. Laurentius
Lange konnte man sich der Illusion einer halbwegs friedlichen Koexistenz jedoch nicht hingeben: 1935 holten die Nazis zum propagandistischen Schlag gegen die Ordensgemeinschaften aus. Man nutzte die komplizierten Devisengesetze (also die Überweisung von deutschem Geld ins Ausland), um Ordensgemeinschaften, die wie die Dominikaner Missionen unterstützten, staatsfeindliches Verhalten vorzuwerfen. Im Zuge dieser Prozesse kamen P. Laurentius als Provinzial, P. Thomas Stuhlweißenburg als dessen Vorgänger im Amt und P. Titus als verantwortlicher Missionsprokurator ins Gefängnis. In Oldenburg wurde Anklage erhoben und die drei Dominikaner wurden verurteilt. Nach Einspruch gegen dieses Urteil und wohl auch aus Angst der Machthaber vor dem Unmut der Bevölkerung wurde das Urteil zwar später aufgehoben, aber nur P. Laurentius kam frei. P. Thomas hatte sich in der Haft das Leben genommen und P. Titus, der eh eine labile Gesundheit hatte, war an Entkräftung im Januar 1936 gestorben.
In Vechta nahmen alle – Schüler wie Lehrer- große Anteil an diesem Geschehen. Man erlebte die Willkür der Justiz, die propagandistische Verunglimpfung der Kirche und die Hilflosigkeit gegenüber den Nazis. Hinzu kam der sog. ‚Kreuzkampf‘ im Südoldenburger Land, der die Konviktgemeinschaft veranlasste, die HJ geschlossen wieder zu verlassen. Dies war ein Signal des Widerstandes und die Auswirkungen waren entsprechend. Man vermied zwar offene Provokationen, aber man machte auch keinen hehl aus den Gegensätzen, die zwischen Nationalsozialismus und katholischem Selbstverständnis bestanden. Die Folgen waren spürbar: 1938 musste das Gebäude in der Stadt aufgegeben werden, 1939 übernahm die Wehrmacht die Gebäude in Füchtel. Zwar gestattete man noch die Abiturprüfung 1940, aber dann war das Konvikt aufgelöst und alle Patres und Schüler hatten Vechta zu verlassen. In das Internatsgebäude zog eine NS-Lehrerbildungsanstalt ein – si sollte bis 1944 Bestand haben.
So endete aus damaliger Perspektive die dominikanische Arbeit in Vechta und das schulische Leben in Füchtel. Dass es einmal weitergehen würde, wusste man damals noch nicht. Wir sind da in vielerlei Hinsicht klüger – und können deshalb in der nächsten Ausgabe von ‚schwarz auf weiß‘ von den Neuanfängen nach dem Zweiten Weltkrieg berichten.
Noch ein Nachtrag zu P. Laurentius Siemer, der bis 1946 Provinzial bleiben sollte: Er führte in schwieriger Zeit mutig die Ordensprovinz Teutonia. Als Mitglied des sogen. ‚Ordensausschusses‘ versuchte er mit anderen, die Bischöfe zu mutigerem Widerstand gegen die Nazis zu bewegen – bei Bischöfen wie von Galen (Münster) oder von Preysing (Berlin) hatte diese Gruppe durchaus Erfolg. Wegen seiner Kontakte zu den Widerstandkämpfern des 20. Juli wurde er von den Nazis verfolgt, und musste untertauchen. Dank mutiger Menschen in Schwichteler und Holdorf konnte er sich verstecken und überlebte so die Nazizeit. Am 21.10.1956 starb P. Laurentius in Köln.
Neuanfang – Vom Konvikt zum Kolleg St. Thomas (1945-1960)
Nach Gründungszeit und einer ersten Blühte in den zwanziger und dreißiger Jahren machen wir nun einen Sprung in die Nachkriegszeit, also in die Jahre des Wiederaufbaus und der notwendigen Neuorientierung. Die Nazidiktatur und der Zweite Weltkrieg hatten für ganz Deutschland den totalen Zusammenbruch bedeutet. Nicht nur viele Gebäude lagen in Trümmern, auch Werte, Erwartungen, familiäre Strukturen und natürlich die öffentliche Ordnung mussten nun ganz neu aufgebaut werden.
Das betraf auch den Mikrokosmos ‚Gymnasium der Dominikaner in Vechta‘! 1940 hatten die Patres das Konvikt schließen und Vechta verlassen müssen, das Schulgebäude war im Auftrag der Oldenburgischen Regierung zu einer ‚Lehrerbildungsanstalt‘ umfunktioniert worden, seit Februar 1945 war es schließlich – wie viele andere ehemals kirchliche Einrichtungen – ein Lazarett. Nach Kriegsende im Mai 1945 stellte sich nun die Frage, ob und wie es weitergehen sollte.
Mehr als ein Namenswechsel:
Vom „St. Josef Konvikt“ zum „Kolleg St. Thomas“
Der Klugheit und dem forschen Auftreten von P. Laurentius Siemer war es zu verdanken, dass die Konviktgebäude nicht verkauft oder enteignet worden waren, sondern dem Staat (zwangsweise) zur Verfügung gestellt wurden. So waren die Besitzverhältnisse klar und die Dominikaner konnten bereits Anfang 1946 nach Vechta zurückkommen. Doch wie gesagt: Ein Neuanfang war nötig. Man stand vor der Frage, ob man wieder ein Konvikt eröffnen sollte (also eine Internatsschule ausschließlich für Jungen, die später einmal in den Orden eintreten wollten), oder ob man eine ‚freie Internatsschule‘ gestaltet. Darüber entbrannte in der Ordensprovinz ein heftiger Streit. Der neugewählte Provinzial P. Augustinus Gierlich befürwortete eine ‚scola apostolica‘, also ein Konvikt für den Ordensnachwuchs, P. Laurentius Siemer lehnte zusammen mit dem Vechtaer Konvent dies vehement ab und forderte ein Kolleg, das allen offenstehen solle. Heraus kam schließlich ein Kompromiss: Es wurde die Schule unter dem neuen Namen ‚Kolleg St. Thomas‘ wiedereröffnet. Sie sollte allen offenstehen, aber die Ordensberufungen wurden in besonderer Weise gefördert und die Internatserziehung entsprechend gestaltet.
Die Namensgebung war Programm! Während der hl. Josef als Namenspatron des alten Konviktes eher für eine behütende und leitende Erziehung stand, so verbindet man mit dem hl. Thomas eher den klugen weil fragenden Theologen, den Mann des Gespräches und der Diskussion. So war das Ideal: Die Schüler sollten zu verlässlichen, im christlichen Glauben verwurzelten Männern heranwachsen, ausgerüstet mit der nötigen Bildung und einem tragfähigen Wertekanon, um als Christen zu leben und die junge Bundesrepublik verantwortlich zu gestalten. Während die Nazis die gehorsame Volksmasse feierte, die blind zu gehorchen hatte, setzte man mit dem hl. Thomas einen wirklichen Gegenakzent: Auf den einzelnen kam es an, die Frage nach der Wahrheit wurde zu einem Leitmotiv, das Gewissen sollte gebildet werden. Es ging bei allen Alltagsproblemen um einen moralischen Neuanfang im umfassenden Sinne.
Kriegsfolgen: materielle und seelische Nöte
Der Krieg und seine Folgen waren in den Aufbaujahren überall spürbar. So wurden die alten Gebäude zum Teil weiterhin als Lazarett genutzt, wodurch die Kriegsversehrten zumindest in den ersten Jahren zum Internatsalltag gehörten. Materiell herrschte Not und die verantwortlichen Patres – P. Walbert Weber als Präfekt des Internates, P. Arnfried Lehmkuhl als Prior und v.a. P. Arno Drees als Prokurator - hatten Mühe genug, die hungrigen Schüler satt zu bekommen. Hinzu kam auch der Mangel an Kleidung und Möbel: So mancher Internatsschüler musste in einem ausrangierten Lazarettbett schlafen. Hier ist auch anzuerkennen, dass die Patres in Vechta auf Vieles verzichteten, um den Wiederaufbau des Internates zu ermöglichen und auch manchen Schülern aufzunehmen, dessen Familie die nötigen Kosten nicht bezahlen konnte. Es war für den Konvent ein sehr einfaches, bisweilen sogar primitives Leben in den alten Klosterräumen (heute der sogenannte ‚Klostertrakt‘).
Noch gravierender als die materielle war aber die seelische Not. Alle Thomaner – ob Patres, Lehrer oder Schüler – trugen die Blessuren der vergangenen Jahre mit sich herum: die Not und Gewalt des Krieges, Trauer um vermisste oder gefallene Väter oder Brüder, Obdachlosigkeit durch Vertreibung oder Bomben, die Konfrontation mit den Naziverbrechen, die Traurigkeiten und Nöte der je eigenen Familien…. Diese Liste kann man noch fortführen. Mit diesen äußeren und inneren Grenzerfahrungen kam man in ‚Füchtel‘ nun als Lebensgemeinschaft zusammen, freilich ohne psychologische Hilfe, ohne Traumabewältigung oder ähnliche Unterstützung, die wir heute kennen. Halt gab die Gemeinschaft, in der alle im selben Boot saßen, Halt gab der christlich-katholische Glaube und Halt gab eine sehr straffe und autoritäre Disziplin, die im Internat herrschte. V.a. P. Walbert führte ein hartes Regiment, unter dem mancher auch über die Maßen zu leiden hatte. Wenn man manche Zeitzeugen hört, dann ging es sehr viel strenger zu als vor dem Krieg.
Freiräume im Internatsalltag
Doch es gab nicht nur das Lernen, Beten und Arbeiten, nein, es gab auch Freiräume. Ein solcher Freiraum war etwa der Unterricht bei P. Thaddäus Roth, dem Kunstlehrer am Kolleg. Er hatte seine Werkstätten dort, wo heute das Pfadfinderheim steht – also räumlich etwas vom eigentlichen Internat getrennt. Hier fanden die Schüler Raum für Kreativität und offenbar auch viel Ermutigung, was im tristen Alltag einfach guttat. Ein weiterer Freiraum waren die Pfadfinder, die Spaß und Abenteuer für alle boten. Man konnte sich austoben, die Natur genießen und so überschüssige Energie loswerden. Ein Freiraum stellten sicher die sehr aufwendig durchgeführten Feiern dar: die Verabschiedung der Abiturienten, Advents- und Weihnachtsfeiern, Ehemaligentreffen, Karneval, Konzerte oder Theateraufführungen. Mit der Abiturientenverabschiedung war alljährlich sicher der sogenannte ‚Weinkommers‘ für die älteren Semester des Kollegs ein Höhepunkt des Jahres, vielleicht vergleichbar mit dem heutigen Abiturball, jedoch ohne Tanz und gefeiert in der damaligen Kollegs-Aula (heute Schulkapelle und Konferenzraum). Hier traf man sich zur geselligen und feucht-fröhlichen Runde, es wurde viel gelacht und so die Schulzeit gelöst hinter sich gelassen. Für die Jüngeren gab es aus gleichem Anlass den ‚Kakaokommers‘, der seinen Namen zum einen von der angebotenen (offenbar etwas einseitigen) Getränkeauswahl hatte, zum anderen aber auch von dem, was da geschah: Die Lehrer wurden gehörig durch den Kakao gezogen. Wenn man Fotos von diesen Feiern sieht, dann waren es tolle Veranstaltungen, sehr sorgfältig gestaltet, mit viel Humor und Spaß!
Wenn man von den Freiräumen im geregelten Internatsalltag spricht, dann dürfen hier wohl auch nicht die Wasserschlachten im ‚Paterbecken‘ vergessen werden, also in der kleinen Badeanstalt am Moorbach, die dem Kolleg gehörte. Im Sommer konnte man plantschen – und im Winter Schlittschuh laufen, und zwar von der Thekla-Brücke im Wald bis hin zur Wassermühle. Alle Felder standen im Winter unter Wasser und froren auch tatsächlich zu, was bei den heutigen Wetterverhältnissen unglaublich erscheint.
Es gab sie also tatsächlich, die Freiräume für die Schüler. V.a. aber erlebte man sich in der Internatsschule offenbar als eine sehr enge, geschlossene Gemeinschaft, deren Leben fast ausschließlich im Kolleg St. Thomas Füchtel stattfand. Besuche anderswo, und sei es nur in der brausenden Innenstadt von Vechta, waren sehr selten und streng reglementiert.
Die Dominikaner in Vechta und das Kolleg St. Thomas entwickelten sich in den fünfziger Jahren sehr gut: Die Kirche und ein weiterer Internatstrakt (heute Teil des Studentinnen-Wohnheimes) wurden gebaut, sogar Bundeskanzler Konrad Adenauer machte 1953 kurz Station in Füchtel. Das größte Ereignis war wohl die Übertragung der Gebeine von P. Titus Horten vom katholischen Friedhof in die Dominikanerkirche, wo sie vor dem Altar bestattet wurden. Mindestens das ganze katholische Südoldenburg war an diesem 1. Mai 1954 auf den Beinen, um P. Titus zu ehren.
So war das Kolleg ein Zentrum im Südoldenburger Raum und für die Dominikanerprovinz Teutonia, denn obwohl es kein Konvikt mehr war traten doch eine ganze Reihe von Schülern nach dem Abitur in das Noviziat der Dominikaner ein.
Es waren Jahre des Verlustes und zugleich des Aufbaus, der Ernsthaftigkeit und der Kameradschaft, der Strenge und der Klarheit. Die Verunsicherung der sechziger Jahre war noch nicht spürbar, vielmehr atmete das Kolleg – wenn man die Schulschrift ‚unter uns‘ und die Chroniken liest – ein großes, ganz eigen gefärbtes Selbstbewusstsein.